Ich wasche meine Hände, gründlichst, dabei happy-birthday-singend. Dann darf ich den Bauch anfassen, darf meine Finger darüber streichen lassen, auf eine Bewegung hoffen. Ich nähere mich der gespannten Haut. Spüre schon die Härchen. Das Armband blinkt und piept. Meine Schwester muss trinken. Sie nimmt ein paar Schlucke. Ich nähere mich wieder. Das Armband sagt, der Sauerstoffgehalt im Blut ist gefallen – Natalia soll sich bewegen. Sie zieht ihr Shirt über den Bauch und wir steigen die Treppen runter. Wir laufen und reden über das Hochwasser, das nicht mehr sinkt. Das Armband verlangt eine Pause, aber es ist keine Bank in Sicht. Wir laufen um die Ecke, das Armband piept im Takt. Nach weiteren Schritten vibriert der Arm meiner Schwester, wir setzen uns schnell auf eine Stufe am nächsten Hauseingang. Das Armband verstummt. Wir atmen. „Wie geht‘s dir?“, frage ich. Meine Schwester seufzt. „Gut. Der letzte Monat“. Ich versuche freudig zu klingen, nein, ich bin freudig, voll von Vorfreude auf dieses Baby. „Ja…“, setze ich an, aber das Armband unterbricht uns, der Blutzucker ist niedrig. „Wir müssen uns etwas zu essen holen“, sagt Natalia. Ich gebe ihr die Hand, um sie hochzuziehen. Das Armband warnt, ja nicht die Bauchmuskeln anzuspannen. Wir schütteln den Kopf.
Im Automatenmarkt überblickt Natalia die Snacks. Sie favorisiert gesalzene Nüsse, aber die Ernährungsempfehlung am Arm spricht sich für die ungesalzene Nuss-Frucht-Mischung aus. „Ich hasse Rosinen“, beschwert sich Natalia. Das Armband schweigt. Als sie am Obstomat vorbeigeht, vibriert es, meldet Vitamin-C-Bedarf. Sie bezahlt einen Apfel, der mit einem kleinen Aufzug zur Greife fährt. Wir essen im Gehen, obwohl das Armband vor Verschlucken und Auswirkungen auf die Verdauung warnt.
Natalias ganzer Körper ist in Bewegung, wenn sie geht. „Ich freue mich schon, wenn wir gerätelos sind“, murmelt sie, „wenn das Kleine erstmal da ist, interessiert es keine Sau mehr“. Das Armband kündigt das geplante CTG an. Natalia muss sich gleich anschnallen an den Herztonwehenmessgürtel. Wir wandern zurück zu ihrem Haus. Sie hält sich den Bauch als sie die paar Stufen zu ihrer Wohnung hoch steigt. Ich helfe beim Schuhe ausziehen. Natalia rummst in ihren Lieblingssessel, legt den breiten Gurt bauchnabelverdeckend um ihren nackten Bauch. Eine kleine Anzeige malt Linien, sie werden direkt zur Praxis gesendet. Natalia fordert mit ihrer offenen Hand meine Hand. „Noch schläft es“, sagt sie. Sie legt meine Hand über dem Gürtel auf ihre Haut, ich spüre Wärme, Atmung, den Apfel in Verarbeitung. Sie beginnt zu erzählen, der Tonfall beschwörend: „Es war einmal ein Bauch, der durfte wachsen ohne gestört zu werden. Durfte in Ruhe ausufern, sich aufplustern. Ohne Picken und Dauerbeobachtung. Er wurde gestreichelt, massiert, betastet. Der Inhalt lag in wohligem Wasser, in beständigem Gluckern und seltenem Gerumpel…“. Da, da, da, da – ein freundlicher Gegendruck von innen. Meine Augen müssen strahlend wachsen, Natalia grinst. Ein winziger Fuß tritt heraus, ich umfasse ihn. Ich stelle mir den Fuß im dunklen Wasser vor, die schrumpeligen Zehen gestreckt und wieder angezogen. Bald, bald, werden wir das Baby in unseren Armen halten. Das Schreien nach Nahrung, Liebe, Wärme wird zum Kompass werden, das Baby wird uns mitteilen, was es braucht. Bald.