Mein kapitalistischer Alltag

Von Saza Schröder

2019 S-Bahn Ottensen

Da stehen wir auf dem überfüllten Bahnsteig
Die alte Frau mit dem Stock und ich
Die Bahn fährt ein
Bewegung kommt in die Masse
Die Türen öffnen sich
Sie drängen hinein und hinein und hinein
Sie lassen den Leuten keine Zeit zum Aussteigen
Keine Zeit für ein Lächeln
Für einen Gruß vielleicht
Eifrige Hintern und gefüllte Taschen
Streben zu den raren Sitzplätzen
Da stehen wir
Die alte Frau mit Stock und ich
Wir waren zu langsam
Wir waren nicht entschlossen genug
Wir waren zu höflich
Die Türen schließen sich
Die Bahn fährt ab
Mit den eiligen Leuten von Hamburg und
Ohne uns

2020 S-Bahn Ottensen

Die Bahn fährt ein
Zwei steigen aus
Umrunden mich weiträumig
Ich steige ein
Einer sitzt noch drin
Jetzt sind wir zwei
Wir lächeln und heben die Schultern
Das ist jetzt so
Einer ganz vorne
Ich ganz hinten
Die Bahn fährt ab

2022 S-Bahn Ottensen

Da stehe ich auf dem überfüllten Bahnsteig
Die Bahn fährt ein
Bewegung kommt in die Masse
Die Türen öffnen sich
Sie drängen hinein und hinein und hinein
Sie lassen den Leuten keine Zeit zum Aussteigen
Keine Zeit für ein Lächeln
Für einen Gruß vielleicht
Eifrige Hintern und gefüllte Taschen
Streben zu den raren Sitzplätzen
Da stehe ich wieder
Ich war zu langsam
Ich war nicht entschlossen genug
Ich war zu höflich
Die Türen schließen sich
Die Bahn fährt ab
Mit den eiligen Leuten von Hamburg und
Ohne mich

Saza Schröder

Lyrikerin. Liedermacherin. Gedichte, Storys und Zeichnungen in Literaturzeitschriften und Anthologien. Gedichtband: Giftgrün und Libidorot. Im Dreischneuß Verlag Lübeck.

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