Es brennt

Von Olaf Urban-Rühmeier

Mein Vater hat gesagt, es hat immer irgendwo gebrannt. Es ist normal, wenn es brennt. Aber ich glaube, etwas hat sich verändert. Es wird schlimmer. Es wird kaum noch kühl in den Nächten. Immer leuchtet es irgendwo orange am Horizont. Tagsüber wehen Rauchschwaden heran. Auf der Zunge liegt der Geschmack von Ruß und Rauch. Die kleinen Kinder husten oft, man hört es nachts, wenn die Fenster offen stehen wegen der Wärme. Je nachdem, wo es brennt, schmeckt der Rauch anders. Mal ist es ein Holzfeuer, ein Geruch, den ich früher gern mochte. Dann brennt irgendwo ein Wald. Mal ist es eher diese Mischung aus verbranntem Gummi und Braunkohle, dann hat sich das Feuer an den Stadtrand heran geschoben, hat vielleicht eine Fabrik erwischt oder so etwas.

Das Feuer ist launisch. Es taucht an Orten auf, wo man es nicht erwartet. Vorgestern war es auf der Wiese am Fluss, mitten in der Stadt. Die Wiese war ein Treffpunkt für uns Jugendliche und für Erwachsene, die Zeit hatten, um etwas anderes zu tun als zu arbeiten. Es waren wenige. Das ist jetzt vorbei. Das Gras ist verbrannt und die Bäume und Büsche, hinter denen man liegen und Bier trinken konnte, sie sind jetzt leere, schwarz verkohlte Skelette.

Mitten auf der Wiese stand oft ein Fahrrad mit einem Lastenanhänger. Der Lastenanhänger war wie eine kleine Bühne und dort stand ein Mann und redete. Er warnte immer vor dem Feuer. Das kannten wir schon. Jeder warnt vor dem Feuer. Auch die Erwachsenen sagen das. Man soll vorsichtig sein.

Manchmal redete der Mann auch seltsames Zeug. Er warnte vor der Arbeit. Er sagte, das sei wie das Feuer, nur dass die Menschen das nicht merkten. Einmal sagte er auch, dass es noch nicht genug brenne, wenn keiner etwas ändere. Dass wohl erst die Augenbrauen ansengen müssten, bevor die Menschen verstünden, was sie zu tun hätten. Da hätte er beinahe Schläge abbekommen. Plötzlich hatte ein großer Typ vor ihm gestanden und gesagt, er solle die Fresse halten. Seine Cousine hätte im Feuer alles verloren. Nicht weit von der Stadt, ein Bauernhof. Es sei eine Schweinerei, was er sagte. Andere hatten den wütenden Mann weggezogen.

Jeder hat irgendetwas, das er im Feuer verloren hat. Ein Auto, das am falschen Platz geparkt war. Der Wohnwagen auf dem Campingplatz. Angeblich sterben auch Menschen, aber das weiß keiner so genau. Das Feuer kommt und geht. Im Jahrgang meiner Schwester hat es sogar den Schulabschluss verhindert. Wie aus dem Nichts hatte es sich an das Verwaltungsgebäude der Schule angeschlichen, hatte es angesprungen und alles verbrannt, auch die Abschlussarbeiten.

Jeder verliert etwas, aber keiner sagt es offen. Jetzt haben wir Jugendlichen auch die Wiese am Fluss verloren. Nur der Fahrradanhänger steht noch da. Das Feuer hat ihn fast umzingelt, aber nicht angerührt. Nur die Fahrradreifen die sind von der Hitze kaputtgegangen. Der Mann kommt aber nicht mehr, um auf den Anhänger zu steigen. Es wäre auch keiner mehr da, der ihm zuhört. Auf verbranntem Gras will keiner sitzen.

Manchmal scheint es so, als wenn das Feuer verschwunden wäre. Die Nächte werden für kurze Zeit wieder kühler. Die Luft lässt sich leichter atmen. Für eine paar Tage oder eine Woche ist das Leben wieder wie früher. Dann steht man auf, und hört durch die geöffneten Fenster die Sirenen der Feuerwehr. Die Fenster sind fast immer geöffnet wegen der Hitze. Dann ist das Feuer wieder da. Manche sagen, das Feuer ist im Boden. Es verschwindet niemals ganz, sondern kann jederzeit und an jedem Ort aufflackern. Vielleicht stimmt das.  

Vielleicht stimmt auch, was andere sagen. Dass das Feuer gelegt wurde. Wer und warum, dazu gibt es die unterschiedlichsten Geschichten. Terroristen. Eine radikale Sekte. Leute, die uns ein ruhiges Leben nicht gönnen. Aber warum ein Feuer, das weiß keiner. In der Schule hat einer behauptet, das Feuer sei kein Feuer, sondern ein Wesen, gezüchtet in einem Labor. Was für ein Quatsch. Wieso sollte ein Feuer leben und etwas absichtlich tun?

Es ist wieder schlimmer geworden. In den letzten Tagen kam das Feuer sehr nah an unser Viertel. Ich sah einen ausgebrannten Laden, davor saß ein Mann auf einem Koffer und starrte in die Ruine. Auch in unserer Straße liegt jetzt viel Ruß auf den Fassaden. Man hat das Gefühl, die Welt wird grau und schlierig. Es ist nicht leicht, Ruß irgendwo wegzuputzen. 

Nun ist meine Schwester verschwunden. Sie wollte nachmittags zu ihrer Schule zum Geigenunterricht, aber sie ist dort nicht angekommen. Keiner hat sie gesehen. Es hat dort gebrannt. Jetzt ist die Gegend um die Schule Sperrgebiet. Meine Mutter weint, mein Vater schweigt und starrt an die Wand.

Ich werde meine Schwester suchen, noch an diesem Abend. Ich trete aus der Tür. Es ist unerträglich heiß.

Olaf Urban-Rühmeier

Geboren 1965 in Bargteheide in Schleswig-Holstein. Nachdem ich lange nur beruflich bedingt geschrieben habe, bekommt eigene Prosa nun einen zunehmend größeren Anteil. Die erste Veröffentlichung erfolgte 2020 in der Anthologie „Ein Fingerhut voll Harz“ mit Texten über die Region, in der ich damals lebte. Im Dezember 2021 habe ich bei den Berner Bücherwochen den dritten Preis für meinen Text „Ein Refugium“ erhalten. Der Text wurde in der Anthologie zu den Bücherwochen veröffentlicht. Zuletzt wurden Kurzgeschichten von mir beim Erfurter Federlesen 2022 und beim vierten Literaturpreis Harz ausgezeichnet.

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