Leise Gleise

Hering gemalt

Am schwammigen Meeresboden ziehen sich die Gleise bis in Dänemarks Gewässer. Aus dem Fenster des Unterwasserzugs ist das Wasser dickflüssig, zerrissene Algen treiben schwerfällig vorbei. Ein Schwarm Heringe baut eine nahende Wolke. Es wird dunkel. Ich lehne mich ans Fenster und blicke zur Wasseroberfläche. Ein Riesenschiff wirft seinen Schatten auf uns. Ich möchte die Notbremse ziehen, die Heringe hereinlassen. Aus der Luft klatscht ein Netz ins Wasser, breitet seine Maschen aus und gleitet zu Boden; es wird alles fangen: Heringe, Krebse, Seegras, Züge, Menschen, Dorsche, Kälte, Steine, Schollen, Eier, Schweinswale, Algen und tauchende Seevögel.

Die Schaffnerin kontrolliert meine Fahrkarte, ich bin ein Mensch, der das Aussterben scheut. Das Netz befestigt sich am Boden. Ich winke mir von der Fahrkarte aus zu und spreche mit der Schaffnerin, sie wischt sich die Stirn mit ihrem Ärmel ab. Unser Zug ist klein, aber schwer. Ich ziehe meine Jacke aus, wir gehen den Gang entlang, nussbraune Wände trennen uns von den Vierecken, die das Meer in Leben und Tod teilen. Ein Mensch mit Helm stellt sich in meinen Weg und redet von brennenden Regenwäldern. Will Spenden sammeln zur Aufforstung. Ich lasse mir einen Flyer geben, halte ihm das Kleingeld aus meiner Hosentasche und eine Wasserflasche hin und gehe weiter. Die Schaffnerin ist am Ende des Abteils angekommen, ich hetze hinterher. Ein Mensch in Badehose steht auf, erzählt vom Bienensterben, betont die Dringlichkeit, wenn wir nicht selbst bestäuben wollen. Ich unterschreibe diesen Aufruf und schaffe es durch die Tür. Die Schaffnerin erklärt gerade, warum Fisch essen nicht besser ist als Olivenbäume pflanzen. Warum der heimische Dorsch nicht die Lösung aller Konsumfragen ist. Verdammt.

Am Ende des zweiten Abteils sind die Türen zur Zugführung. Wir atmen schwer, eine Schweißschicht hat sich über meinen gesamten Körper gelegt und ich höre es blubbern, draußen, wo sich Fischkiemen im Netz verfangen. Die Schaffnerin öffnet die Tür, es ist niemand hier und sie bietet mir einen Platz an. Ich setze mich neben sie, wir führen den Zug, verlangsamen, halten an, drehen ab und fahren auf das Netz zu. Lassen uns fangen, fangen uns, rattern weiter und ziehen das Netz mit unserem ganzen Gewicht über den Boden, lösen die Verankerung und bringen das Schiff ins Wanken. Schnell schwenkt der monströse Schatten hin und her, immer schneller, hin, her, bis er bleibt, an Ort und Stelle und auf dem Boden liegt und tropft. Der Schatten spukt Geräte, Tonnen, Menschen, Profite und tote Tiere aus.
Die Meeresoberfläche rauscht und strudelt. Die Schaffnerin und ich klatschen ein.
Es bräuchte uns tausendfach.

Anka Hellauer

Anka Hellauer leitet Schreibwerkstätten und politische Bildungsworkshops. Sie liest, lebt, träumt, spaziert, malt, diskutiert und schreibt in Berlin.

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