Liebesbrief an Jemanden

Von KC Osvici

Überall auf der Welt gibt es kleine weiße Zwerge. Zwerge mit Wohlgestalt und geringer Leuchtkraft, zum Lachen und für die Gestaltstherapie, monogame akrobatische Dilletanten, zirkumpolare Wahrscheinlichkeitsproleten – in einem Wort: Dich.

Wozu ich das schreibe?

Aus Sehnsucht, wozu denn sonst. Wer kann schon verstehen, warum heute, gerade heute, in meiner – auch Deiner? – Welt der digitalisierten Einöde unserer Sehnsuchtsparameter irgend jemand nur noch die oben genannte Klarheit erreichen kann. Denke ich an Dich oder – denke ich doch nur an mich? – dann wird alles deutlich und unumstößlich: Ich weiß genau, wer ich bin.

Ich werde nicht erzählen, dass wir uns neben einem Baukran zum ersten Mal begegneten. Aufgerissene Straßen, tote Backsteine, rote Dachziegel, zersplitterte Holzbalken, spitze Dolche, Eichenzorn aus kleinen Häusern gerissen, niedergemäht mit Beton und Glas überall um ihn herum. Sein langer Arm verjagte Straßennamen von kleinen Schildern, geleertes Damals, leeres Heute, neu, hoch, eben, glatt, spiegelnd, kontrastlos. Es wurden gerade Glasfaserkabel zu einem neuen Hochhausgebäudekomplex verlegt. Es roch digital. Ja, ich weiß, dass ich immer wieder und ganz zu Deinem Leidwesen diese, nach Deiner Meinung eingeschränkte und äußerst negativ besetzte Sichtweise, kundtue. Du weißt doch, was digital ist, oder? Na, das Gegenteil von analog. Also, das viele Kristern dazwischen ist fort. Aus, An, nur noch Aus, An; doch wenn An, dann scharf. Wenn Aus, dann aber auch wirklich Aus. Dazwischen? Na, … Nichts. Entweder oder Oder. Ich höre schon Deine Stimme sich erheben. Was wird sie mir sagen wollen? Es gibt da noch ein Sowohl-als-Auch und dann die ganze Litanei von den ganzen Abstufungen der Grautöne. Warum eigentlich grau? Warum nicht, sagen wir, blau? oder rot? Sie haben Bedeutungen. Rot z. B. symbolisiert die Liebe. Das wusstest Du natürlich. Wusstest Du das? Du weißt doch: Liebe. Wie Feuer, Lust, Sex, Schnell – Ja, … schnell. Aber vielleicht verstehst Du etwas ganz anderes darunter. Bedeutet Rot bei Dir vielleicht Habsucht? oder Vertrauen? Ich stelle mir gerade vor, dass ich in einem Satz das Wort Rot verwende und Du beginnst zu singen. Singen, stell Dir das bloß vor! ….. Au Mann, ich muss lachen. ….. Ja, … eigentlich gar nicht witzig. Na ja, ich würde gern wissen, was Du darunter verstehst; Trauer? Verstehst Du mich eigentlich wirklich nicht, wenn ich Rot sage? Kann so viel an einem Wort hängen? Ich male mir auch gerade aus, was alles passieren kann, wenn ich Rot sage und Du mich gar nicht verstehst. Werde ich allein zurückbleiben? Hoffentlich lachst Du nicht, wenn ich Blau sage, oder lässt mich allein zurück, d. h. hier zurück.

Siehst Du die in den Boden gerammten Löcher gefüllt mit diversem verstreuten Bauschutt noch auftragslos herumliegenden Kabeln und dem einen oder anderen Werkzeug nebst den Hinterlassenschaften der letzten Nacht, dann kannst Du Dir oft gar nicht vorstellen, wie klinisch rein es in einigen Wochen aussehen wird. Nichts erinnert dann mehr an die Insuffizienz der alten Gemäuer, umweint von einigen wenigen trauernden Romantikern, für die die verworrenen Muster geschmückt mit skurrilen Monstern der Unterwelt als für die Nachwelt, der Ewigkeit?, erhaltenswert erscheinen. Gezielt positionierte Detonationen erschaffen das Anlitz einer Stadt neu. Sie ist digital. Genauso ergeht es der Welt.

Hattest Du einen schönen Tag?

War er erfolgreich?

Warst Du erfolgreich?

Also ich war erfolgreich. Sehr erfolgreich. Welch eine Farce, welch eine Aufregung um so kleine Dinge. Bytes und Bits in diesem kleinen Ding in meiner Hand. Du kannst damit spielen. Eigentlich spiele ich nicht gern. Ich arbeite und bin erfolgreich.

Kannst Du auch eine Glasfassade von Deinem Fenster aus sehen? Weißt Du, die Gleichmäßigkeit beruhigt. Sie lenkt einen, ich meine Dich, also mich, nicht vom Wesentlichen ab. Sehe ich lange genug darauf, dann fließen meine inneren Bilder wohin sie wollen. Einfach so, ohne etwas dafür zu tun. Dürfen sie das?

Am Tag oder auch in der Nacht auf eine Glasfassade zu sehen, nachts natürlich beleuchtet, LED geziert, ist anders als träumen. Hast Du auch immer noch Angst, wenn Du träumst? Also, ich habe Angst. Das wächst sich nicht ‚raus‘, wie Verity sagte. Warum haben Großmütter solche Namen? Wächst die Wahrheit auch, wie ein Kind? Es wächst immer mehr, nicht raus. Ich vertraue Dir etwas an: Nicht selten wache ich nachts auf, schweißgebadet, aus einem Angsttraum. Ich verstehe einfach nicht, warum meine Großmutter das immer sagte, denn es stimmt einfach nicht. Es stimmt verdammt nochmal einfach nicht. Und dann, dann gehe ich an das Panoramafenster und… . Ich habe wirklich ein sehr großes Fenster hier. … und dann schaue ich auf die Glasfassade. Die Gleichmäßigkeit beruhigt.

Früher, sagte mir die Consierge, standen hier Häuser, klein und schlecht isoliert, aber wunderschön. Sie betonte es auf der ersten Silbe, also auf ‚wun‘, wobei ihre dunkelgrünen Augen sich zur Decke bewegten. Sie hätten auch grau sein können. Vielleicht waren sie gar nicht dunkelgrün. Manchmal wünscht man sich Farben. Sagte ich Dir bereits, dass der Empfangsbereich sich über fünf Etagen erstreckt. Da ist viel Platz für Wunder, wenn man, ich meine Du, eigentlich ich, an Wunder glaubt. Letztes Jahr, gleich nachdem wir die sozial-duseligen Allüren unseres Chef de Cuisine des Open Market entlarvt hatten, erfuhr ich, dass sie bereits seit vier Monaten tot war. Ich erinnere mich noch genau. Ich kam von der Herrentoilette im Eingangsbereich. Nicht lachen. Ich hatte zuviel Kaffee auf der Vorstandsitzung getrunken, konnte mich kaum noch auf den Beinen halten, 48 Stunden keinen Schlaf gehabt, und dann Kaffee, stark, Harndrang. Also, ich komme aus dem Bereich und sah sie nicht. Eine schleichende fehlende Präsenz, ‚wunderschön‘, gegangen, fort, ersetzt.

‚Guten Abend, Sir.‘

‚Guten Abend.‘

Nein, an die Häuser konnte er sich nicht erinnern. Ich hatte ihn auch nicht danach gefragt. Hätte er sich an sie erinnert, würde er sie doch erwähnt haben – die Häuser. Was meinst Du? Sie waren verschwunden.

Ganz schnell. Ich glaube, ich liebe Dich, ich, eher, mag Dich, ich trau mich das gar nicht zu sagen; aber Ja, ich musste es sagen. Kannst Du mir sagen, wieviel die Welt wiegt? Und, ob da noch etwas drin ist, wenn ich sie weiter öffne? Sorry, dass ich Deine Zeit so sehr in Anspruch nahm. Musst ja auch nicht antworten. Machst Du wahrscheinlich sowieso nicht. Ah Nein, wie blöd, der Akku ist gleich am Ende. War meine Nummer geblockt?

KC Osvici

Die Unglaublichkeit dieser Welt und die Beziehungen zwischen Menschen und dieser unglaublichen Welt in Worte zu fassen, ist für mich eine Herausforderung und vor allem eine Freude. Als Amateurastronomin und –fotografin, widme ich mich außerdem dem Schutz der Nacht, auch in Geschichten.

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