[Mäandertal]

Von Svenja Ohlsen

Ich trage dich, du trägst mich.
Oder wer trägt wen?
Wie individuell sind wir eigentlich?
Was mache ich mit meinen Gedanken?
Ich gebe sie ab, ich höre Podcast.
Denn ich kann mich selbst nicht mehr hören und auch gar nicht formulieren.
Will ich manchmal auch gar nicht.
Mir wird gesagt, es sei wichtig, sich selbst zu kennen, zu reflektieren und zu wachsen.
Aber wozu, wohin?
Vielleicht will ich das gar nicht, vielleicht will ich gar nichts wollen.
Vielleicht will ich hier nach Loriot einfach nur sitzen.
Und um hier einfach zu sitzen, brauche ich Ablenkung von meinen eigenen Gedanken und Lasten. Doch wer bin ich ohne meine Problemchen ?
Woran kann ich schrauben und bosseln, wenn ich eigentlich nichts will?
Also suche ich mir Pläne, Projekte und Prinzipien, halte mich an ihnen fest.
Messe andere Menschen an meinen Richtlinien.
Dabei sind es gar nicht meine Schuhe, die ich da trage.
Ich habe zu kleine Füße, brauche dicke Socken, um in die Stiefel zu passen.
Wenn die Stiefel aber nicht mehr drücken,
gibt es nichts mehr, das schmerzt und das behoben werden müsste.
Gerade das brauche ich aber doch, um in Gang zu kommen, den Schmerz.
Den Grund, um nach einer Linderung zu suchen.
Oder zumindest, um festzustellen, dass etwas nicht stimmt, dass mich etwas am Gehen hindert.
Wenn ich einfach laufen kann, weiß ich nicht wohin.
Also brauche ich die Zurückhaltung, brauche ich etwas, das mich bremst und im Weg liegt,
damit ich darüber hinweg steigen muss.
Umständlich.
Ich brauche Umstände, sonst stehe ich.
Sonst bin ich nichts.
Habe keine Richtung, noch nicht einmal ein poröses Gummiband, das mich zurückhält.
Nur ein kleines bisschen.
Gerade genug, um das Gefühl zu haben, da reibt was, da ist was.
Egal was, egal wer.
Wenn ich frei bin, stehe ich.
Ich kann mich drehen und wenden, doch ich komme nicht voran.
Also beschwere ich mich und hangele mich am Nörgeln vorwärts, um zu beweisen, dass es geht.
Dass ich gehe.
Hin zur vermeintlichen Freiheit,
doch ich lege mir selbst Steine in den Weg.
Bin Maurerin meiner Hürden und Mauern, damit ich daran arbeiten kann, sie zu durchbrechen.
Dabei will ich hier einfach nur sitzen.
Oder will ich?
Bevor ich darüber nachdenke, mache ich mir eher Gedanken über andere.
Projiziere sie auf mich, weiß es besser und fühle mich dennoch schlecht.
Weil ein Vakuum entsteht.
Ich implodiere wegen der Gefühle und Sorgen anderer und weiß es wieder besser.
Aber ich sage es nicht.
Ich sage nicht, wie es geht.
Ich sage nicht, wie es mir geht.
Ich ergehe mich in Gedanken an andere.
Was sie wohl über mich denken, zu dem, was sie mir gesagt haben
und zu dem sie sich fragen, wie ich wohl darüber denke.
Aber keiner sagt, wie er denkt, dass der andere denkt,
damit niemand denkt, dass jeder nur aus seiner eigenen Perspektive denkt.
Kommunikation!
Schreit das Gewissen, schreit die Gesellschaft, schreit der Podcast.
Das muss es sein. Also denke ich mir meinen Teil und höre zu,
damit ich meine Gedanken nicht höre.
Denn was wäre, wenn sie mir raten, still zu stehen?
Dabei muss ich doch vorwärts gehen.
Nicht zurück,
voraus liegt das Glück.

Ich sitze hier und fühle.
Alles Dunkel.
Nur ich.
Aber das will ich nicht.
Ich will mich nicht.
Aber ich habe mich.
Glück gehabt.
Wenigstens das.
Und jetzt?
Durchatmen.
Ich bin anders.
Tröstlich.
Wenn nichts hilft, hilft wenigstens das.
Vielleicht bin ich einfach anders.
Das zeigen mir doch auch so viele Filme und Serien.
Manche sind einfach anders.
Filme werden darüber gedreht, wie anders ist anders also?
Wahrscheinlich normal.
Aber das reicht ja nicht.
Lieber anders.
Verstärkt anders.
Verkrampft anders.
Auf der Suche, weil auf der Suche anders ist.
Weil gleich sein gleich gewöhnlich ist und zu einfach.
Also anders.
Und im Anderssein andere finden.
Andere, die auch anders sind.
Nicht alleine sein.
Im Anderssein gemeinsam sein.
Zusammen.
Gewöhnlich sein.
Wieder zurück auf Anfang und Geld einziehen.
Losgelöst.
Über Los.

Vielleicht einfach wieder Kühe melken? Das habe ich immer geliebt.

Svenja Ohlsen

Svenja Ohlsen ist geborene Frankfurterin (1992), sie studierte Übersetzen und Dolmetschen in Heidelberg und Köln. Zurzeit lebt sie zwischen Deutschland und Schweden und ist als freiberufliche Übersetzerin/Dolmetscherin sowie freie Autorin tätig. Wenn sie nicht gerade Aufträge bearbeitet, gräbt sie mit ihren Händen in der Erde und mit ihren Gedanken in Worten.

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