Trost der Schienen

Von Florian Josef Rinderer

Liebe Menschen,
an dieser Stelle möchte ich für mein unten stehendes Gedicht eine Trigger-Warnung aussprechen, da es in ihm um Suizid geht: Keine Glorifizierung, keine Pathologisierung, kein Wegerklären, kein Verurteilen und doch habe ich darin klar Position bezogen, meine Sicht, meine Gefühle, meine Erinnerungen dargelegt und dabei die Kammern der Dunkelheit aufgesperrt. Es ging und geht mir nicht darum jemanden zu verletzen oder zu erschrecken! Ich habe lediglich versucht einen Span Licht in die Dunkelheit zu werfen und weiß, das mein Versuch nur dünnes Eis in einem winterlichen Gebirgsbach ist.
Darum, lieber Mensch, sei vorsichtig und überlege es dir bitte genau, ob du weiter lesen möchtest…

Bei Fragen, Suizidgedanken und/oder Notfällen können
vielleicht folgende Telephonnummern hilfreich sein:
Österreich: 142
Deutschland: 116123
Schweiz und Lichtenstein: 143

Trost der Schienen

Zugeneigt
Der jungen Frau
Die sich am 29. November 2009
Das Leben nahm

(I)

A loaded gun won’t set you free.
So you say.
Joy Division, New Dawn Fades

Die Physik die auch im Auge gilt
Vermisst die Beulen der Erde
Während Robert Zimmerman
Sich als Bob Dylan verkleidet
Um die Sonne zu durchschwimmen

Die Chemie der Liebe beschließt
Um vier Uhr nachmittags zu verblassen
Während die Blumen des Herbstes
Im aschfahlen Licht von 13,7 Milliarden
Jahren den Untergang der Heimat einläuten

Die Selbstverständlichkeit der Ebene
Ergibt die Vorkenntnis des Ersten Gefühls
Die Strassen bleiben grell und das Licht leer
Nicht einmal die Stille existiert und bleibt

Körper und Seele Seele und Körper
Eines von beiden muss verbrennen
Genauso wie der Bruch zwischen
Ich und Welt unvermeidlich ist

Die Dunkelheit der Existenz
Verdickt sich im Novembernebel
Des Seins und du beschließt
Dein Leben ein für alle mal zu enden

Mir bleibt:
Der Trost der Schienen

(II)

Wer da abspringt, ist nicht notwendigerweise dem Wahnsinn verfallen, ist nicht einmal unter allen Umständen „gestört“ oder „verstört“. Der Hang zum Freitod ist keine Krankheit, von der man geheilt werden muss wie von den Masern.
Jean Améry, Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod

Nun sagen sie
Du seiest feige und selbstsüchtig
Und Ehrlos

Und begreifen nicht:
Dass du durch die innere Hölle
Deiner Qualen gingst
Dass dein Denken und Fühlen
Zerschlagen wurde
Dass dir das Leben so unglaublich
Weh tat

Sie führen ihre Regeln und
Auffassungen wie Speerspitzen
Gegen deine Freiheit und
Dein kleines Glück

Ich, der ich
Die ähnlichen Wunden
Wie du trage,
Verstumme

Mir bleibt:
Der Trost der Schienen

(III)

She went with the man
In the long black coat.
Bob Dylan, Man in the Long Black Coat

Ich will nichts mehr sagen
Dich aber im Herzen behalten


…Trost der Schienen…
[Mein ist die Stadt und der Regen
Unser ist die Nacht für immer
Dein ist die Erlösung…

…Ich hoffe du findest den Wald
Und die Wiese
Und die Blumen…]

[Texte, die in diesem Text eine Rolle spielen:
Améry, Jean: Hand an sich legen. Diskurs über den Freitod. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag 2008, S. 40.
Dylan, Bob: Man in the Long Black Coat. auf: Ders.: Oh Mercy. Columbia / Sony Music Entertainment, 2004, Side One, Track 5.
Joy Division: New Dawn Fades. auf: Dies.: Unknown Pleasures. Factory Records, 1979, Side One, Track 5.]

Florian Josef Rinderer

Florian Josef Rinderer lebt, schreibt, liest, isst, trinkt, schläft. Mag Hunde. Und Bücher. Hat Blumen im Namen. Manchmal auch einen Vogel.

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