Utopie, Transformation, No Future

Von Lucie Kolb

Utopie
Wäre ich ein Sitzmöbel
dann wäre ich eine alte ramponierte Bierbank
an den Klappbeinen wäre eine Schraube locker
ich würde immer etwas wackeln.
Du wärst ein Ohrensessel
der Stoff an den Armlehnen verschlissen
die Sitzfläche eingebeult.
Wir würden auf einem Wagenplatz stehen
nah bei der Feuertonne
und nur genau so viel arbeiten, wie wir wollen.

Transformation
Ich werde mal
alles ganz anders machen
nicht zurückschauen
werde meine Haut abschütteln
und das was daran klebt
dann steh ich da
nackt bis auf die Innereien
das werde ich mal machen.
Später mal.

Ich werde mal
wer anders sein
ohne das Dorf
ohne Verlegenheit
werde ich ganz wortgewandt
abstreifen was an mir klebt
dann bin ich klug und schön
und in der Welt zu Haus.
Später mal.

No Future
aus dem Nabel der Welt
sprießt ein graues Haar
Weihnachten ist nicht mehr
was es mal war
das ist die Zukunft
herzlich willkommen
ich hab nen Schrittzähler
und trotzdem zugenommen
Der Mob
trifft sich im Internet
und vor Büchereien
das ist die Zukunft
herzlich willkommen
ich balle die Faust
und merke ganz achtsam
da ist noch Wut
die Wut so wie früher
ich trag sie ins Fitnessstudio
damit in der Zukunft
mein Nabel
nicht zwischen Speckrollen verschwindet
und später am Abend
kurz nach dem dritten Bier
da schmeiß ich die Flasche
sie zerschellt wie früher, zum Glück
am nächsten Morgen stehe ich mit Besen
vor der Tür
die Hunde, die Lastenfahrräder
ein alter Mann nickt mir freundlich zu
unter dem Arm die Bildzeitung
das ist die Zukunft
herzlich willkommen

Lucie Kolb

Lucie Kolb wuchs in einem oberbayerischen Dorf auf und lebt nun in Hannover. Als Sozialpädagogin arbeitet sie in der Suchthilfe. Als Autorin schreibt sie für Kinder und Erwachsene über draußen und drinnen, oben und unten, haben und nicht haben und den Raum dazwischen. Und über Fahrräder. 2019 erschien ihr Kinderbuch „Suppenwetter oder eine Geschichte vom Stehlen, Schenken und Wegwerfen“ beim Südpolverlag.

Webseite